Im Alleingang für alle

„Auf dem Schild neben uns las ich: LEBENSGEFAHR. Welch eine Ironie. Dieses Schild in einer Landschaft, die bereits von jedem Leben befreit war.“

Wenn Matze an seine Kindheit denkt, denkt er an Einsamkeit. In seinem wohlhabenden Elternhaus, in dem sich jeder materielle Wunsch erfüllt, verspürt er nur fauligen Geruch. Dann trifft er Motte und sein Leben findet eine neue Richtung. Motte und ihre Freunde reiben sich auf, für den Schutz unserer Umwelt und des Klimas. Mit spektakulären Aktionen stemmen sie sich gegen die gefühlte Ohnmacht, die in kollektive Resignation und Untätigkeit mündet. Sie geben der leise sterbenden Welt eine Stimme. Bei ihnen findet Matze ein neues Zuhause. Es sind Freunde, die diesen Namen verdienen. Sie respektieren ihn bedingungslos.
Gemeinsam ringen sie um Antworten auf drängende Fragen.
Was müssen wir an uns und unserem Leben ändern, damit die Menschheit eine Zukunft hat?
Wie weit reicht die Verantwortung des Einzelnen für unsere Welt?
Wo sind die Grenzen des zivilen Ungehorsams?
Ist Widerstand eine Bürgerpflicht?
Matze fühlt sich zum Widerstand berufen. Er übernimmt Verantwortung für sein Leben und das Leben aller Menschen.
Matze handelt.
Im Alleingang.
Für uns alle.

Leseprobe

„Es war mein Dienst für das Leben aller.“
Jeder Angeklagte hat das letzte Wort.
Dies waren meine letzten Worte. Dann verkündete der Richter sein Urteil.
Schuldig.
Nun sitze ich hier in diesem karg möblierten Raum und lehne mich an die Wand. In der Mitte der metallische Abort. An der Decke hinter einem Drahtgitter eine kleine Glühbirne. Vor dem kleinen Fenster rostige Gitterstäbe, hinter ihnen die sterbende Welt. Seit einigen Tagen bin ich hier, sitze auf der Pritsche und starre auf die nackten Wände meines heimeligen Verlieses. Tag und Nacht, ohne jedes Zeitgefühl. Es gelingt mir nicht, zur Ruhe zu kommen.
Ein Verbrechen habe ich nicht begangen.
Ich bin Schöpfer einer Wahrheit, für die ich vernichtet werde. Ich habe mich zur Wehr gesetzt. Mein Widerstandswille war stark genug. Die Urteilsbegründung war lang und emotional. Die Staatsanwältin schien überglücklich.
Bei mir blieben nur einzelne Worte des Richters haften.
Heimtückischer Mord.
Menschenverachtende Tat.
Wehrhafte Demokratie.
Klare Kante gegen Extremismus, Gewalt und Terror.
„Das Recht, als Mitglied der freien Gesellschaft zu leben, haben Sie durch Ihre geistigen Verirrungen für immer verwirkt.“ Dies waren seine letzten Worte. Lebenslänglich. Da- nach schloss er die Verhandlung.
Hinter den hohen Mauern aus Stahlbeton habe ich den Gürtel aus den Schlaufen gezogen und zusammen mit meinen Schnürsenkeln, meiner Uhr und meinem Mobiltelefon widerstandslos in die Plastikschale gelegt.
Der Aufseher reichte mir meine neue Kleidung. Zwei Hosen, zwei ausgebleichte Leinenhemden, einen Pullover. Alles grau.
Der Uniformierte geleitete mich wortlos und ohne Eile zu meiner neuen Behausung. Lustlos führte er den Schlüssel ins Schloss. Die erste Tür auf unserem Weg öffnete sich. Nach seiner auffordernden Geste ging ich durch die Tür und wartete. Er verriegelte die Tür. Wir stiegen eine Treppe nach oben. Die nächste Tür versperrte uns den Weg. Der gleiche Takt. Erneut warten, aufschließen, wenige Schritte, warten, zuschließen. Nach zwei weiteren Türen erreichten wir die Zelle. Zwei Umdrehungen des Schlüssels öffneten die schwere Eisentür. Ich trat gebückt ein. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss. Das krachende Geräusch ging durch Mark und Bein. Er schob den schweren Riegel vor die Tür. Die Bolzen rasteten ein. Das metallische Rasseln des Schlüsselbundes entfernte sich langsam.
Ich bin allein.
Die Mauern lassen kein Geräusch herein, keine Stimme ist vernehmbar, keine Schritte sind zu hören. Absolut nichts.
Totenstille umklammert mich und überflutet meinen Kopf. Auf der glatten, weißen Wand der Zelle spiegeln sich meine Gedanken. Verbrannte Erde. Sand, Staub und nackte Bäume. Gleißende Sonne. Kein Wasser. Ein regloser, dunkler Schatten. Kein Insekt. Kein Vogel. Auf dem rissigen Boden nichts als Tierkadaver. Kadaver, so weit der Blick reicht.
Mein Körper schmerzt vor Müdigkeit. Meine Glieder sind taub.
Ich sollte schlafen, aber ich kann nicht, auch wenn ich die Augen schließe.
Ich bin hellwach.