Heiliges Blech

Heiliges Blech,
es zerstört Zukunft und Träume,
es bringt uns den alltäglichen Tod.

Auf eine Zahl reduziert beerdigen wir ihn in gewohnter Weise in unserer wohlgeordneten Statistik, tausendfach, Jahr für Jahr.

Warum ist es ein so gewöhnlicher Tod,
der uns im kollektiven Einklang kaum noch
berührt, uns nicht mehr empört?
Heiliges Blech S.7

In meinem Buch erzähle ich die Geschichte von Janine, einer jungen,lebensfrohen Frau, die bei einem tragischen Autounfall ums Leben kommt.

Oliver, ihr Lebensgefährte, sucht Antworten auf die Frage nach dem Warum und auch immer wieder die Konfrontation mit Sascha dem Unfallverursacher. Doch Sascha lebt schon bald sein normales Leben, das von der Faszination Auto geprägt ist, unverändert weiter. Wie unterschiedlich Oliver und Sascha den Tag des Unfalls und das darauffolgende Jahr erleben, wie Oliver immer tiefer in Depressionen versinkt und wie er schließlich am Unverständnis der Menschen zerbricht, die für Trauer keinen Platz in ihren Alltag haben, das habe ich versucht, bewegend und einfühlsam zu schildern.

 

Hintergrund

Zu Beginn eines jeden Jahres legt das Statistische Bundesamt mit der Verkehrsunfallbilanz erschütternde Zahlen vor. Die gesellschaftliche Wahrnehmung ist vielfach nur noch statischer Natur. Die Zahlen lösen nur noch bei wenigen Menschen Bestürzung aus. In einem breiten gesellschaftlichen Konsens haben wir uns mit den hohen Opferzahlen abgefunden, die wir bei keiner anderen Technologie akzeptieren würden.

… 11. September … zwei Türme sind eingestürzt … 2.749 Menschen sind ums Leben gekommen … die Welt ist ins Wanken geraten … 2003 … 6.828 Menschen sind auf unseren Straßen gestorben … kein Entsetzen … keine Empörung … die Toten sind nur Zähler in unserer Statistik Heiliges Blech, S. 52

Mit meiner Erzählung richte ich den Fokus auf die Schattenseite der Faszination Auto, auf das Leid, das durch tausende Verkehrstote und hunderttausende Verletzte jedes Jahr aus Neue ausgelöst wird. Durch die Schilderung eines Einzelschicksals versuche ich deutlich zu machen, dass sich hinter den nackten Zahlen der Verkehrsunfallstatistik ganz reale menschliche Schicksale verbergen.

Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Es ist an der Zeit, nicht weiter Schnelligkeit, Sportlichkeit und eine offensive Fahrweise als Ideal zu definieren, sondern die Freude am Auto in der Langsamkeit, Gelassenheit und Menschlichkeit hinter dem Steuer zu erleben.

Leseprobe

Ein markerschütternder Schrei durchdringt meinen gesamten Körper und reißt mich aus dem Schlaf. Wie jeden Morgen liege ich schweißgebadet in meinem Bett. In unserem Bett. Alleine. Es ist nicht der Lärm eines Presslufthammer der meine Ohren betäubt. Es sind die Schreie in meinem Kopf. Ich kann den Schmerz, der meinen Kopf zu zerbersten droht, kaum noch ertragen. Janine hat nicht geschrien. War der Augenblick zu kurz, um schreien zu können oder warum hat sie nicht geschrien? Warum hat sie nicht geschrien, um diese ganze Scheiße zu verfluchen? Ich weiß keine Antwort. Aber mein Kopf schreit. Er schreit zu diesen Bilder, die unaufhörlich vor meinen Augen ablaufen. Wie eine Endlosschleife, immer wieder und immer wieder. Tag für Tag. Nacht für Nacht. Ich schaue auf die Uhr. Es ist 6 Uhr. Ich richte mich auf. Im Bad halte ich meinen Kopf unter den eiskalten Wasserstrahl. Er kann mich nicht beleben. Ich wanke die Treppe hinunter in die Küche. Auf dem Küchentisch steht noch die Flasche Rotwein. Die letzten Tropfen im Glas sind über Nacht eingetrocknet. Ich fülle das Glas mit Wasser, werfe eine Aspirin hinein und starre darauf, wie sie sich sprudelnd auflöst. Wie lebendig ist diese Tablette. Für einen kurzen Augenblick bewegt sie sich brausend und schäumend im Glas, quillt empor und wird eins mit dem vom Wein leicht rot gefärbten Wasser. Ein kurzes Leben. Um mich herum ist alles tot. Nichts ist mehr so, wie es war und nie wieder wird es so werden, wie es war.

Ich gehe ins Wohnzimmer. Aus dem übervollen Aschenbecher dringt kalter Nikotingeruch. Eine ausgedrückte Kippe liegt daneben. Ich bin Nichtraucher. Dachte ich, bis zu diesem Tag, der nun schon fast ein halbes Jahr zurückliegt und der alles verändert hat. Alles. Ich stecke mir eine Gauloise an und blicke auf die Schachtel. „RAUCHEN KANN TÖDLICH SEIN“ propagiert der Aufkleber. Ein vergeblicher Versuch. Alle lesen ihn. Jedermann raucht. Sogar mein Arzt raucht. Die Welt ist voll mit Hinweisen. Wir sind müde sie zu lesen und alles andere ist uns wichtiger. „FATIGUÉ TUE“. In großen Lettern leuchtete die Mahnung über der Autobahn als wir in Richtung Süden fuhren. Es war unser letzter gemeinsamer Urlaub. Wir konnten nicht ahnen, dass es unser letzter Urlaub sein würde. Alle haben die gut gemeinte Aufforderung für eine wohlverdiente Rast gelesen. Alle sind weitergefahren. Die ganze Nacht. Was hilft es da, dass wir übernachtet haben und erst am nächsten Tag ausgeruht weitergefahren sind. Ich schreie: „AUTOFAHREN KANN TÖDLICH SEIN.“ Warum klebt denn gottverdammt keiner Aufkleber auf jedes Auto, auf jedes Lenkrad. Wir könnten ihn alle lesen. Trotzdem, alle würden unverändert weiterfahren, das Handy nicht aus der Hand legen, überholen um jeden Preis, den Akku des Selbstwertgefühls mit der Motorkraft des Wagens aufladen. Ich sinke erschöpft am Tisch zusammen. Alleine.

Hörprobe

Das Netzwerk für Verkehrssicherheit Brandenburg hat, unterstützt und gefördert vom Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft des Landes Brandenburg, mit Ausschnitten aus der Erzählung ein Hörbuch produziert, das im Rahmen der Verkehrsunfallprävention an Schulen des Landes Brandenburg eingesetzt werden soll. Ziel ist es, die „Jungen Fahrer“ auf der emotionalen Ebene anzusprechen und „die Hörerinnen und Hörer für das Thema Verkehrssicherheit zu interessieren und diese zum Nachdenken und zur Diskussion anzuregen.“

Mein Dank richtet sich an alle Akteure, die zum Gelingen dieses Projektes beigetragen haben, an

  • das Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft Brandenburg,
  • das IVS Institut für Verkehrssicherheit gGmbH,
  • die Verlagsleiterin Gerlinde Heß, TRIGA-Verlag in Gründau-Rothenbergen,
  • die TonInTonAudioproduktion Berlin,
  • den Sprecher von Oliver, Robert Voß,
  • den Sprecher von Sascha, Martin Schubert,
  • die Mitarbeiter des Netzwerkes Verkehrssicherheit Brandenburg, Nadine Städter und Siegurd Hahn
  • alle anderen Menschen, die im Hintergrund zum Gelingen dieser Produktion beigetragen haben.

Zu einem ganz besonderen Dank bin ich Frau Maren Born verpflichtet. Bei Frau Born vom Netzwerk Verkehrssicherheit Brandenburg sind alle Fäden für die Produktion zusammengelaufen.

Inspiriert durch die Hörbuchproduktion, hat Herr Robert Voß, der Sprecher von Oliver, den Song „Niemals wieder“ komponiert. Das Netzwerk für Verkehrssicherheit Brandenburg hat mit dem Titel die gleichnamige CD produziert.

Hören Sie sich gerne einen Ausschnitt aus dem Hörbuch an.